Meine letzte Woche (3)

Das letzte Wochenende in Dorjans Leben heute vor einem Jahr verlief ohne Vorzeichen des Bevorstehenden. Er verfolgte zufrieden auf dem Sofa lümmelnd unsere Adventsdekorationen und die Skisprungübertragungen, freute sich auf die Weltmeisterschaft, bei der er im Frühjahr so gerne vor Ort gewesen wäre, wäre sie nicht wegen Corona abgesagt worden, chattete mit seinen Freunden und verfasste - unlustig, aber pflichtbewusst - seine aktuellen Sportnachrichten für den Blog des slowenischen Kulturvereins.

Nur lag ständig dieser Schatten über allem: Seine eigentlich als gutartig eingestuften Hauttumore hatten sich unter dem Einfluss seiner Pubertätshormone wieder weiter vergrößert. Dennoch hatte ich einen Termin in einer Fachklinik kurzfristig verschoben, weil wir zu einer sehr unchristlichen Nachtzeit hätten losfahren müssen, und diese Belastung erschien uns als zu groß: neuer Erstvorstellungstermin im März 2021. Eine andere Fachklinik hatte im Oktober befunden, die sichtbaren Wucherungen könnten relativ einfach entfernt werden, wenn wir wollten, noch 2020, stellten aber nicht sein eigentliches Problem dar. Sein Neurologe allerdings, der Dorjan seit dem Kleinkindalter kannte und der unser volles Vertrauen genoss, hatte im September strikt von allen Operationen zu diesem Zeitpunkt abgeraten, zumal man diese Tumore nicht rückstandsfrei entfernen könne.

"Sie meinen, wir sollten besser warten, bis er seine Pubertät abgeschlossen hat?", hakte ich nach. Darauf stutzte der Neurologe sichtlich und sagte nach kurzem Zögern geradezu erleichtert: "Ja." Erst drei Monate später würde ich begreifen, dass er dankbar war für die goldene Brücke, die ich ihm unabsichtlich gebaut hatte: Er brauchte nicht auszusprechen, die Pubertät würde nach aller Voraussicht bald durch Dorjans Tod beendet.

Am 29.11.2020 hatte Dorjan noch vier Tage zu leben.

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