Meine letzte Woche (7)

Der 3. 12. - genau vor einem Jahr endete die gute Zeit unseres Lebens.

Um 0:30 schlichen wir uns wie versprochen noch einmal zu Dorjan. Er schlief völlig ruhig, mir gefiel allerdings nicht, dass er sich im Schlaf auf die Seite gedreht hatte, wo er am Tag doch ständig gesagt hatte, da könne er nicht richtig atmen. Doch meine Frau will seine Atembewegungen gesehen haben, ich hielt ihm sogar den Handrücken unter die Nase und konnte die Wärme spüren - alles in Ordnung. Wir hatten eine ruhige Nacht.


Doch als ich um 7:00 aufwachte, hatte ich diese Angst, sein Zimmer zu betreten und womöglich einen toten Dorjan vorzufinden. Zweimal pingte ich ihn auf dem Messenger an, denn manchmal war er um diese Zeit schon am Daddeln - keine Antwort. Um 7:15 sah ich doch nach ihm. Er lag noch immer in genau derselben Haltung wie um 0:30, dünne Speichelbläschen standen auf seinen Lippen. Ich zog mich zurück, um ihn sich in Ruhe ausschlafen zu lassen.

Um 8:30 fand ich, es sei nun doch Zeit, ihn aus dem Bett zu holen, denn um 9:00 begann der Online-Unterricht seiner Schule. Wieder ging ich zu ihm, seine Lage war genau dieselbe. Ich berührte seine Hand, um ihn sanft zu wecken. Und sie war eiskalt. Als hätte ich es geahnt ... entsetzt griff ich an seine Halsschlagader, und auch dort war alles eiskalt. Ich kannte das: Unser Dorjan musste schon vor 4 oder 5 Stunden weggegangen sein.

Das Schlimme für mich ist, dass es nicht völlig unerwartet gekommen war. Das Schlimme für meine Frau ist, dass sie es absolut nicht hatte kommen sehen.

Es sei ein natürlicher Tod gewesen, sagte die Kripo, ohne jeden Todeskampf. Sie würden keine Obduktion veranlassen und auch uns dringend abraten, eine zu beantragen, denn das brächte uns unseren Sohn doch nicht wieder. Letzten Endes würden wir also nicht erfahren, woran er genau gestorben sei. Es war die Psychologin, die meine Frau schon länger betreute, die uns zwei Tage später zu der Einsicht führte, dass alle seine Symptome zu dem Tumor an seinem Stammhirn passten. Als er vor 10 Jahren entdeckt worden war, hatte der Oberarzt gesagt, Dorjan würde eines Tages einfach aufhören zu atmen - und genau so war es am Ende gekommen.

Und weil es für Gott noch nicht genug war, in dem Moment, in dem für nach langen Entbehrungen endlich alles glatt ging, unsere Familie endgültig zu vernichten, setzte er noch eine bösartige Spitze obendrauf: Auf Dorjans Nachttisch stand ein ewiger Kalender. Für den 3. Dezember gibt er den Spruch an: "Wir sind alle nur zu Besuch auf der Erde."

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